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Reisen und Ausflüge

Im Eigenantrieb im Hohen Venn unterwegs

Sabine Rieck · 27.06.2024

Raus aus Köln, rauf auf die Draisine, rein ins Vergnügen – im Hohen Venn. Foto: Sabine Rieck

Raus aus Köln, rauf auf die Draisine, rein ins Vergnügen – im Hohen Venn. Foto: Sabine Rieck

Wer weiß noch, was Draisinen sind? Richtig: Gleisfahrzeuge. Mit ihnen kann man herrlich und nur mit Muskelkraft durchs Hohe Venn gleiten – ganz ohne Lenken.

„Wir wollten immer schon mal Lokführer spielen, radeln und ne- benbei die Landschaft des Hoch- moors sehen“, erzählt Familienvater Kai Bittner. Zusammen mit Frau und Tochter sitzt er auf einer Draisine. Das eigentümliche Gefährt wird mit Pedalen über die Gleise getrieben. Eine Eisenbahn mit Eigenantrieb.

Schnurrend summen die vier Stahlrollen des modernen Schienenfahrrads, neudeutsch auch „Railbike“ genannt, über die alten Stahltrassen. Ehepaar Bittner thront auf zwei höhenverstellbaren Fahrradsitzen und tritt tüchtig in die Pedale. Immer im Gleichtakt. Den gemütlichen Part übernimmt Tochter Clara. Die Siebenjährige hat es sich auf der Sitzbank bequem gemacht. Hier ist Platz für zwei Mitreisende. Sie muss nichts tun, nur den Ausflug genießen.


Familie Bittner unterwegs – immer schön im Gleichklang treten. Foto: Sabine Rieck

Leichte Steigung bewältigen

Zwischen dem Start an der Station in Leykaul und dem Ziel, dem stillgelegten Bahnhof in Sourbrodt, muss eine leichte Steigung bewältigt werden. Die Gäste scheint das nicht zu schrecken. Zehn Fahrrad- Draisinen sind an diesem Mittag gestartet. Im Konvoi dabei: Menschen aller Altersgruppen. Direkt vor Familie Bittner gönnt sich ein Seniorenpaar einen Tag mit viel Bewegung an der frischen Luft.

Vor dem Start gab es noch eine kurze Einführung zur Sicherheit. Während der Fahrt darf man nicht aussteigen. Auch Anhalten ist nicht erlaubt. Schließlich können auf Schienen die anderen nicht überholen und man würde den ganzen Konvoi stoppen. Nur vor den drei unbeschrankten Bahnübergängen auf der Strecke ist Stoppen vorgesehen. Dort kreuzen Fahrräder den Weg. Denn parallel zum Draisinen-Gleis verläuft der asphaltierte Vennbahn-Radweg mit 125 Kilometern Strecke. Er zählt zu den längsten Bahntrassen-Radwegen Europas.

Früher eine wichtige Verbindungsstrecke

Auf der heutigen Draisinen-Strecke herrschte seit Beginn des 20. Jahr- hunderts für Jahrzehnte reger Zug- betrieb. Die Trasse von Aachen über Belgien nach Luxemburg wurde eigens für den Kohle- und Eisenerztransport gebaut. Auch die Menschen konnten mit dem Zug von der Eifel in die Industriestandorte pendeln.


Foto: Sabine Rieck

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nahm der Personenverkehr stark ab, so dass Streckenabschnitte nicht mehr genutzt wurden. 2004 endete auch der Güterverkehr auf der Vennbahn endgültig. Die meisten Gleise wurden zugunsten des Radwegs entfernt. Auf dem verbliebenen Stück verkehren die Fahrrad-Draisinen.

Vater Bittner staunt über das Seniorenpaar vor ihm, das ihn bereits am zweiten Bahnübergang abgehangen hat. Mit rund sieben Kilometern pro Stunde radeln die Bittners an Laub- und Nadelwäldern vorbei. Etwa nach der Hälfte der Strecke tut es sich dann auf: das Hohe Venn.

Urtümliche Moorlandschaft

Die Landschaft ist bezaubernd. Sie erinnert an eine Illustration aus einem Märchenbuch: violette Hei- desträucher, sattgrüne Mooskissen, weißes Wollgras, kleine braune Moortümpel. Dazwischen schlän- geln sich Holzstege für Wanderer. Das belgische Hochmoor steht seit 1957 unter Naturschutz. Die Belgier möchten, dass das Hohe Venn UNESCO-Weltkulturerbe wird.


Klare Vorfahrtsregeln: Wenn der Radweg kreuzt, muss Familie Bittner ihre Draisine stoppen. Foto: Sabine Rieck

Sandra Bittner genießt von der Draisine aus den Anblick. „Man kann sich voll auf die Landschaft einlassen, lenken fällt ja weg“, sagt sie.

Rasanter Rückweg

In Sourbrodt angekommen nutzt das Bahnpersonal die halbstündige Pause, um die Draisinen auf der Schiene zu drehen. Gelegenheit für die Bittners, sich noch ein Erfrischungsgetränk zu kaufen, bevor die rasante Talfahrt losgeht. Die Draisine beschleunigt nach kurzem Antritt schnell. „Jetzt weiß ich, warum der Wagen eine Fußbremse hat“, lacht „Lokführer“ Bittner und tritt beherzt auf die Bremse. „Ich schätze, sonst hätten wir bald sicher dreißig Stundenkilometer auf dem Tacho.“

Die Fahrt bergab fühlt sich wie im Cabrio an. Die Ausflügler werden jetzt für den fordernden Hinweg entlohnt. Sie können rollen lassen. Nach gut zwanzig Minuten sind die Bittners bereits im Zielbahnhof. Der frische Fahrtwind hat ihnen nicht nur die Haare zerzaust, sondern auch Appetit gemacht auf eine süße Stärkung. Das scheinen die Betreiber der Draisinen zu wissen. In einem stillgelegten Eisenbahnwaggon aus den 1950er Jahren gibt es Belgische Waffeln. Dick mit Hagelzucker im Teig eine Köstlichkeit, die sich alle Gleisradler redlich verdient haben.

Railbike Hohes Venn

Am Breitenbach,
4750 Leykaul-Elsenhorn
Tel. (0032) 80 / 68 58 90
geöffnet: 1. April bis 30. Juni / 1. September bis 5. November
Sa und So, Juli und August täglich
Strecke: von Leykaul nach Sourbrodt, hin und zurück 14 Kilometer
Kosten: 40 Euro pro Draisine für maximal 4 Personen
www.railbike.be

Schleifkotten Draisinenbahn

Bergstr. 26,
58553 Halver
Tel. 02355 / 51 61 63
geöffnet: ganzjährig
Strecke: von Oberbrügge nach Halver, hin und zurück 14 Kilometer
Kosten: verschiedene Angebote ab 12,80 Euro,
Online-Anmeldung mindestens 48 Stunden vorher
www.schleifkottenbahn.de/ draisinenbahn

Wuppertrail Wuppertal

Behindertengerechte Draisinen!
Kreuzstr. 18,
42477 Radevormwald
Tel. 02191 / 598 97 90 (Mo 20–21 Uhr)
geöffnet: Mai bis Oktober Strecke: von Wuppertal-Beyenburg nach Radevormwald im Bergischen Land, hin und zurück 16 Kilometer
Kosten: 13 Euro Termine über Internetseite buchbar
www.wuppertrail.com

Schleifkotten Draisinenbahn

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Tags: Ausflugstipp , Radtour

Kategorien: Reisen und Ausflüge , Tagesausflüge