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Kultur

„Die Roländer“ – Familien-Karnevalssitzung seit 65 Jahren in Köln

Wolfgang Guth · 14.02.2024

Winnie Harkämper und Petra Weßels teilen sich das Präsidentenamt. Foto: Stefan Wachsmuth

Winnie Harkämper und Petra Weßels teilen sich das Präsidentenamt. Foto: Stefan Wachsmuth

Über einen Karnevalsverein und karnevalistisches Familientreffen, bei dem Büttenreden simultan übersetzt und Sketche, kölsche Lied- und Tanzeinlagen selbst gemacht werden – von jungen und alten Mitgliedern.

Die „Roländer“ feiern seit 1959 ihre Familien-Karnevalssitzung mit Büttenreden, Kölsch und Musik in Köln. Merkwürdig ist aber, dass keiner der Familienangehörigen Roland heißt. Wie kann das sein?

Blick zurück in die 1950er Jahre: In den Karnevalssälen Kölns treten die „Drei Tomaten“ auf. Die Brüder Wilhelm, Joseph und Hubert Harkämper haben mit ihren Vorträgen durchaus Erfolg, beenden aber nach der Session 1958 ihr Engagement. „Uns hat die Entwicklung des offiziellen Karnevals nicht gefallen. Es war zu hektisch, nicht familiär und gemütlich genug. Da kamen wir auf die Idee, 1959 eine Karnevalssitzung von der Familie für die Familie zu veranstalten“, erzählt Hubert Harkämper.

Rolandstraße stand für den Namen Pate

Gesagt, geplant, getan. Mit der westfälischen Verlässlichkeit der in Bochum geborenen Mutter und dem rheinischen Humor des Vaters, der aus Bank bei Aachen stammte, gründeten sie in der elterlichen Wohnung eine FKG, eine Familien-Karnevals-Gesellschaft. Bei der Namensgebung griffen die Harkämpers nicht auf den Familiennamen, sondern auf den Wohnsitz der Eltern in der Rolandstraße 81 zurück. Die „Roländer“ waren geboren.


Der diesjährige Karnevalsorden, jedes Exemplar ist ein Unikat. Foto: Stefan Wachsmuth

Erste Sitzung 1959

Am 7. Februar 1959 startete die erste Sitzung. Eingeladen wurde in eine Gartenlaube im Rosengarten, nahe des heutigen Südstadions. Das Programm mit Musik, Liedern und selbst geschriebenen Büttenreden umfasste elf Beiträge und wurde von acht Harkämpern vorgetragen. 17 Zuschauer, allesamt Familienmitglieder, sorgten mit für Dekoration, Büfett, Trinkbares und vor allem für Stimmung.

In diesem Jahr steht die nunmehr 65. Familiensitzung an. Das Grundkonzept ist geblieben: Alles wird von Familienmitgliedern gemacht: Kostüme, Büttenreden, Sketche, Tanzeinlagen, Musikdarbietungen, selbst die Orden. Wert legt Hubert Harkämper auf die Feststellung, dass alle Beiträge selbst getextet sind. „Geklaut wird nur bei den Melodien“, gibt er augenzwinkernd zu.

Sitzung als Familientreffen

Die Anzahl der aktiven Jecken hat sich ebenso wie die Anzahl der Gäste vergrößert. Die 130 Sitzungsbesucher gehören zur Harkämper-Sippe und reisen aus ganz Nordrhein-Westfalen zum Gemeindesaal von St. Peter in Ehrenfeld an. Die Sitzung, deren Eintrittskarten nicht käuflich sind, ist ein großes Familientreffen. Der Kontakt untereinander hat die gleiche Bedeutung wie der Spaß an d’r Freud.


Die Bühne im Saal von St. Peter kann kaum allen Aktiven Platz bieten. Foto: Stefan Wachsmuth

Für den sind die 15 aktiven Stars der Sitzung aus allen Generationen der Großfamilie zuständig. Die jüngsten sind 2011 geboren. Der 89-jährige Hubert Harkämper vertritt als Altbaas die Gründergeneration. In seiner aktuellen Büttenrede nimmt er sich des Themas Alter an und erzählt, was ihm denn so alltäglich passiert. Seine Tochter Petra Weßels und Neffe Winnie Harkämper, die „zwei Halven“, teilen sich den Präsidentenposten und führen gekonnt durch das Programm. Drei Cousinen begeistern als die „Lollipos“ mit Tanz und Musik, überzeugen wie alle Aktiven mit Wortwitz, Humor und jeder Menge Selbstironie.

Kölscher Verzäll mit Simultanübersetzung und Raketen ohne Gewehre

Ein Großteil der Sketche nimmt die Familienmitglieder auf die Schippe. Ob jemand ein Fettpölsterchen zu viel, ein paar Haare zu wenig hat oder einem Missgeschick besonderer Art ausgesetzt war: Das befreite Lachen der ganzen Familie zeigt, dass alles halb so schlimm ist. Aber auch Themen wie die Energiekrise werden humoristisch verpackt. Nicht fehlen dürfen typisch kölsche Geschichten. So wird die Leidensgeschichte vom nach Düsseldorf entführten FC-Geißbock Hennes in bester Mundart erzählt und simultan übersetzt. Da wird aus dem „futze“ dann das „Abgehen von im Darm entstehenden Gasen als Flatus über den After“.

Wie üblich zeigen die Sitzungsbesucher ihre Begeisterung mit Raketen. Aber das Abfeuern geschieht bei den Roländern ohne Schießpulver und militärischen Hintergrund, ja fast schon vegan. Denn ihr Aufruf lautet: „An die Möhre – schrapp, schrapp, schrapp!“

Mehr als ein Karnevalsverein

Für die Organisation der Familien-Karnevals-Gesellschaft sorgt ein inzwischen zehnköpfiger Vorstand, gewählt von der Harkämper-Sippe. Und da steht jede Menge Arbeit an. Bereits im März trifft man sich, um die nächste Sitzung vorzubereiten. Zehn bis zwölf Proben, die meisten in der dunklen Jahreszeit, schließen sich an. Schließlich müssen der Saal gebucht und geschmückt, genügend Beiträge für das Buffet gesichert und auch 260 Liter Kölsch und andere Getränke geordert und an den Mann und die Frau gebracht werden.


Hubert Harkämper, 89 Jahre, in voller Aktion auf der Bühne. Foto: Stefan Wachsmuth

Die Harkämper-Familie aber ist mehr als nur ein Karnevalsverein. Zu seinem fünfzigsten Geburtstag wünschte sich Hubert Harkämper statt Geschenken Geld, das als Grundstock zu einem Familiensozialwerk dienen sollte. In den Pott zahlen seitdem die Familien aus der Sippe einen jährlichen Betrag von 25 Euro ein. Wer aus der Familie einmal in Not gerät, kann aus dem inzwischen angesparten stattlichen Betrag schnelle und wirksame Hilfe bekommen. Beim Kauf eines Hörgerätes, das die Kasse nicht zahlte, sprang das Sozialwerk ebenso ein wie bei der Finanzierung einer Erholungsreise, die sonst nach strittiger und teurer Scheidung hätte abgesagt werden müssen.

Familiensinn, Karneval und schnelle soziale Hilfen, eine gelungene Mischung. Darauf: „Roländer Alaaf“ und „An die Möhre – schrapp, schrapp, schrapp!“

Tags: Karneval 2024 , Karnevalssitzung , Karnevalsverein , Roländer

Kategorien: Kultur