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Kultur

Über den Wandel der deutschen Sprache 

Thomas Lienenlüke, 2023 · 13.05.2024

Foto: Antje Schlenker-Kortum

Foto: Antje Schlenker-Kortum

Autor Thomas Lienenlüke kommt aus Ostwestfalen und schweigt daher gern. Umso mehr hat er über die Kultur der verwuselten Wortwandlungen zu sagen – gerade im Rheinland.

Liebe Leser. Respektive Leser:innen. Beziehungsweise liebe Lesende!

Oder, wenn Sie diesen Text gerade hinter sich bringen: erlesene Erlesende. Mein Name ist Thomas Lienenlüke, und ich habe die schöne Anfrage bekommen, eine Glosse über den Wandel in der deutschen Sprache zu schreiben. Niemand ist dazu ungeeigneter als ich, denn ich komme aus Ostwestfalen, einem Landstrich, in dem man Sprache so gut es geht vermeidet, um solidem, beredtem Schweigen nicht seinen Platz im täglichen Miteinander zu rauben.

Während der gemeine Rheinländer verbale Empfindsamkeitskaskaden und euphorischste Konsonantenströme bereits vor dem Aufstehen großzügigst absondert, habe ich fast meine komplette Kindheit mit der inhaltlichen Ausdeutung eines väterlicherseits hingeraunten „Und?“ verbracht, bis ich schließlich mein obligatorisch darauf zu antwortendes „Jou“ phonetisch so verfeinert hatte, dass ich jede Stimmung und jeden Fakt in ihm verpacken konnte.

Ich bin allerdings mit zwanzig aus Ostwestfalen weggezogen und lernte in Hamburg, Hannover und Köln neben vielem anderen auch die deutsche Regelgrammatik und die Ausprägung meiner Heimatsprache, die man gemeinhin als Hochdeutsch bezeichnet. Und die ist im Wandel. Natürlich. Einiges geht mit der Zeit über die Wupper. Pennäler werden nicht mehr vom Pedell schurigelt, sondern als Schüler:innen maßnahmenbasiert integriert, und ein Backfisch ist völlig zu Recht nur noch auf dem Teller und nicht mehr im Petticoat anzutreffen.

„Sorry, lieber Peter Kraus!“

Gleichzeitig strömen aber immer mehr neue Wortschöpfungen auf den sehr verwuselten Sprechmarkt, man ist sich zum Beispiel nicht mehr einer Sache sicher, sondern man ist safe mit ihr. Ich sehe die Bildschlagzeile schon vor mir, nach „Wir sind Papst“ jetzt: „Wir sind safe“. Mit einem vierstelligen Öffnungscode vorm Mund. Oder nehmen Sie die selbstverständliche Übernahme von englischen Termini. Aus Breakfast und Lunch erschuf der Brite im ausgehenden 19. Jahrhundert das Wort Brunch. Seitdem wird auch bei uns mit Schmackes gebruncht, was Zuchtlachs und Hafermilch hergeben. Um wie vieles schöner wäre es doch, wenn man aus dem deutschen Frühstück und Mittagessen das Kunstwort „Fressen“ für denselben Vorgang zusammenkürzen würde.

Oder – anderes Beispiel: Man ist plötzlich „fein mit etwas“. Was für ein blutleerer Sprechakt. „Katrin, ich muss dir sagen, ich schlafe ab und zu mit deiner besten Freundin – ich hoffe, du bist fein damit?“ Was kann Katrin sagen? „Nein, ich bin eher so mittelfein damit“? Oder grob gemahlen? Wenn ich aber gegen den säuselnden Konsens, den dieses butterweiche „ey, wir sind doch alle fein mit allem, oder ...“ in sich trägt, aufbegehre, oute ich mich automatisch als rückständiger, unprogressiver Spießer, gefangen in einem spätviktorianischen Moral- und Sittenkorsett.

„Ein Laptop ist kein Klapprechner.“

Verstehen Sie mich nicht falsch, natürlich ist es wichtig, dass sich fremde und ungewohnte Begriffe in den täglichen Sprachgebrauch integrieren, ein Laptop ist etwas anderes als ein Klapprechner, ein Flirt etwas flirrender als ein mit semisexueller Subkonnotation ausgeführter Blickkontakt und wenn bei einer angesetzten Besprechung von vornherein klar ist, dass garantiert nichts, aber auch gar nichts Vernünftiges dabei herauskommt, sollte man zur Abgrenzung von sinnvollen Arbeitstreffen hierfür natürlich den gängigen englischen Fachbegriff „Meeting“ beibehalten.

Wenn ich aber zum Beispiel als Lehrer einem stolzen Elternpaar nicht mehr die Hochbegabung ihres eher mittelmäßigen Nachwuchsprodukts in Frage stelle, sondern von „anderer“ oder „alternativer“ Begabung spreche, dann riskiere ich, dass eben dieses Kind eine ehrbare Metzgerlehre absolviert und mich trotzdem irgendwann am Blinddarm operiert, weil seine alternative Aufschneidbegabung es dazu qualifiziert. Und wenns schiefgeht, bin ich auch nicht etwa tot, sondern mein Herz hat eine alternative Schlagfrequenz. Beziehungsweise ich bin – ganz im Sinne einer diversen Gesellschaftsausdeutung – eben verschieden.

Während ich diesen Text schreibe, blicke ich auf ein altes Foto von mir und meinen Eltern. Und ich erinnere mich, wie mein Vater mir und meiner Generation damals vorwarf, die deutsche Sprache zu verhunzen, mit Begriffen wie „geil“ und „cool“. Was ich sagen will – benutzen Sie Ihre Sprache doch bitte so, wie Sie es für richtig halten, seien Sie verspielt, genau, doppeldeutig, konkret, sprechen und schreiben soll im allerbesten Fall auch Spaß bereiten. Und gleich rufe ich meine Eltern an. Das Gespräch wird vermutlich ablaufen wie folgt: Sohn: „Tach.“ Mutter: „Junge!“ Vater: „Und?“ Sohn: „Och ja.“ Mutter: „Na denn.“ Vater: „Ja, dann machs ma gut!“ Alles, wirklich alles ist damit gesagt, und ich bin fein damit.

Ihr Thomas Lienenlüke


Foto: Lars Borges

Thomas Lienenlüke arbeitete als freier Autor bereits für zahlreiche Fernsehproduktionen und Kabarettisten, etwa Ingo Appelt, Harald Schmidt, Anke Engelke, Ingolf Lück und Mathias Richling. Regelmäßig ist er selber auf der Bühne zu sehen.

Tags: Glosse , Sprachwandel

Kategorien: Kultur