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Sichern, evakuieren, entschärfen – Bombenfunde in Köln

René Denzer, 2023 · 13.05.2024

Die am 7. Juli 2023 gefundene „Volksgartenbombe“ und die stolzen Kampfmittelräumer. Foto: Costa Belibasakis

Die am 7. Juli 2023 gefundene „Volksgartenbombe“ und die stolzen Kampfmittelräumer. Foto: Costa Belibasakis

Immer noch werden Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Ein ausgeklügeltes Räderwerk sichert dann die reibungslose Entschärfung: Straßenzüge müssen gesperrt und geräumt werden, Bahnen stehen still.

Eigentlich wollten Ina und Meike Herrenbach einen schönen Tag im Volksgarten verbringen. Doch es sollte anders kommen. Statt gemütlich die Picknickdecke auszubreiten, Wassermelone und Prosecco zu genießen, hieß es für sie: wieder aufs Rad und den Volksgarten verlassen. Denn bei Bauarbeiten am Weiher wurde eine britische Fünf-Zentner-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Und auch im Umkreis von 400 Metern wurde geräumt, etwa 3.100 Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen.

Wie es ist, wegen einem Bombenfund sofort aus der Wohnung zu müssen, wissen Georg und Antoinette Joisten. Im Dezember 2022 gab es bei Arbeiten an einem Sportplatz in Porz-Urbach einen Bombenfund. Die Eheleute ließen sich von Verwandten abholen. „Da fühlt man sich wohler als in einer Anlaufstelle in der Schule“, so Georg Joisten. Just als der 80-Jährige die Tür hinter sich geschlossen hatte, wurde er von einem Mitarbeiter des Ordnungsamtes angesprochen. Der hatte gerade den sogenannten Klingeldurchgang gestartet. „Er fragte: ‚Nehmen Sie Medikamente? Wenn ja, bitte mitnehmen, das kann länger dauern‘“, erzählt Joisten.

Was sollte man bei einer Evakuierung mitnehmen?
Das Ordnungsamt kümmert sich

Dass solche Hinweise angebracht sind, seien Erfahrungswerte, sagt Johannes Brauns. Er arbeitet beim Ordnungsamt der Stadt Köln und ist Spezialist für die Organisation von Evakuierungsmaßnahmen. „Wenn die Menschen Hals über Kopf ihre Wohnung verlassen und zwei Stunden später wieder an der Straßensperre stehen, um ihre Medikamente holen zu wollen, ist keinem geholfen“, erzählt er. Deswegen weist das Ordnungsamt darauf hin, medizinisch Notwendiges und Ausweis einzupacken, Haustieren Futter und Wasser hinzustellen, Hunde mitzunehmen oder auch den Backofen auszuschalten.


Das Ordnungsamt beim ersten Klingeldurchgang. Foto: Costa Belibasakis

Denn wie lange das Prozedere um eine Bombenentschärfung dauert, ist nicht vorhersehbar. „Fünf bis sechs Stunden sind es in der Regel aber immer“, sagt Brauns. Die genaue Zeitspanne hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wie viele Menschen wohnen in dem Gebiet? Wie viele sind auf Hilfe beim Verlassen der Wohnung angewiesen? Muss ein Krankenhaus oder ein Altenheim geräumt werden? Aber auch: Gibt es Menschen, die sich weigern, ihr Zuhause zu verlassen? Entscheidend ist zudem, ob es sich um einen Zufallsfund handelt oder eine Bombe, die bei Sondierungsmaßnahmen entdeckt wird.

Alte Luftbilder helfen

Bei Sondierungen wird ein Grundstück, das bebaut werden soll, auf mögliche Blindgänger untersucht. Das ist Aufgabe des Kampfmittelbeseitigungsdienstes (KBD) der Bezirksregierung Düsseldorf, der auch für Köln zuständig ist. Dazu werden Luftbilder ausgewertet. Die hatten die Alliierten im Zweiten Weltkrieg zur Vorbereitung und Kontrolle ihrer Luftangriffe angefertigt. Auf ihnen ist zu erkennen, wo schwerpunktmäßig Bomben abgeworfen wurden. Etwa 330.000 dieser Bilder stehen zur Verfügung. Ergibt sich daraus ein Verdacht, wird empfohlen, den Boden zu untersuchen.


Bombensuche im leeren Volksgarten-Weiher. Foto: Costa Belibasakis

„Bei den Sondierungen kann besser geplant werden“, sagt Brauns. Befindet sich beispielsweise ein Krankenhaus in der Nähe, kann man schon im Vorfeld abklären, dass am betreffenden Tag nur kleinere Operationen angesetzt werden, die notfalls noch abgesagt werden können. Wird ein Blindgänger gefunden, alarmiert der KBD das Ordnungsamt und ein Evakuierungsradius wird festgelegt. Der beträgt meist 300 oder 500 Meter. Abhängig ist das vom Kaliber der Bombe, aber auch von der Umgebung. Eine hohe Bebauung grenzt den Radius ein. Bei freiem Feld wird er größer, da es mehr Platz gibt für mögliche umherfliegende Teile.

Die Evakuierung läuft an

Bis zur eigentlichen Entschärfung der Bombe bleibt das Ordnungsamt zuständig. Es gilt, Straßensperren zu errichten. Brauns hält Rücksprache mit sozialen Hilfsdiensten, den Kölner Verkehrs-Betrieben und der Deutschen Bahn. Auch der Flugraum muss gesperrt werden. An großen Knotenpunkten regelt die Polizei den Verkehr. Die Evakuierung beginnt mit dem ersten von bis zu drei Klingeldurchgängen. Dabei werden sämtliche Häuser, Wohnungen und Gebäude im Bereich kontrolliert.


Die Planung für die Räumung läuft an. Foto: Costa Belibasakis


Zeitgleich werden die Straßensperrungen geplant. Foto: Costa Belibasakis


Niemand darf mehr passieren. Foto: Costa Belibasakis

Die Menschen werden aufgefordert, das Gebiet zu verlassen. Wer nicht bei Verwandten oder Bekannten unterkommt, kann eine Anlaufstelle aufsuchen. Oft ist es eine Schule oder eine Turnhalle. „Wenn Kollegen feststellen, da braucht eine Person Hilfe beim Verlassen der Wohnung, müssen entsprechend Transporte organisiert werden“, erklärt Brauns. Gehen müssen alle. Ausnahmen gibt es nicht. Wer sich weigert, dem blüht ein Bußgeld von mindestens 200 Euro.

Je schneller den Anweisungen Folge geleistet wird, desto zügiger kann mit der Entschärfung begonnen werden. Für diese ist erneut der KBD zuständig.

Wie unterscheiden sich Bombenfunde?

Der Transport einer Bombe mit Zünder ist zu gefährlich, daher wird immer vor Ort entschärft. Zunächst müssen die speziell ausgebildeten Feuerwerker den Zündmechanismus identifizieren. Schlamm und Dreck erschweren dies oft. Da hilft nur ertasten.


Abgedeckter Bombenfund. Foto: Costa Belibasakis

Unterschieden wird zwischen Aufschlagzünder und chemisch-mechanischem Langzeitzünder. Aufschlagzünder besitzen einen beweglichen Schlagbolzen. Der wird von einer Feder gehalten. Schlägt die Bombe auf, sollte der Schlagbolzen nach vorne sausen und auf ein Zündplättchen schlagen, ähnlich wie bei einer Spielzeugpistole. Bei den Blindgängern hat aus irgendeinem Grund dieser Mechanismus nicht ausgelöst. Gibt es keine zusätzliche Sicherung, kann der Zünder mit einer Zange entfernt und die Bombe so entschärft werden.

Gefährlicher sind die Langzeitzünder. Bei ihnen ist der Schlagbolzen durch eine Feder gespannt. Er wird durch einen Sicherungsring gehalten. Davor sitzt ein kleiner Glasbehälter mit einer Flüssigkeit. Sie ätzt den Schlagbolzen frei, der auf das Zündplättchen saust und die Bombe auslöst. Sind solche Bomben schräg aufgeschlagen oder liegen mit der Spitze nach oben, kann es Jahre dauern, bis etwas passiert.

Wann droht Detonation? Wann muss gesprengt werden?

Besonders deswegen sind Sondierungen so wichtig: Werden solche Bomben bei Bauarbeiten bewegt, wird es richtig gefährlich. „Es kann jederzeit zur spontanen Detonation kommen“, so Brauns. Bei Zufallsfunden bleibt nicht so viel Vorbereitungszeit. Wird ein großes metallisches Objekt im Erdreich oder Wasser ausgemacht, muss es schnell gehen.

Zunächst wird das Ordnungsamt informiert. Es macht sich vor Ort ein Bild und leitet Fotos an den KBD weiter. Handelt es sich tatsächlich um eine Bombe, wird die Fundstelle gesichert. Dort treffen sich Ordnungsamt und KBD. Das Räderwerk kommt in Gang: Kartenmaterial wird gesichtet. Wie ist die Bevölkerungsstruktur vor Ort? Wie steht es mit der Anzahl der Krankentransporte? Und, und, und ...

Manchmal steht Brauns aber auch vor besonders großen Herausforderungen. Etwa wenn sich ein Zünder nicht entschärfen lässt. Dann wird die Bombe vor Ort gesprengt. Da kann es sein, dass er sich mitten in der Nacht um 120 Tonnen Sand, Lkw, Fahrer, helle Strahler und ein Kissen mit 20.000 Liter Wasser gegen die Staubbildung kümmern muss. Aber für die Sicherheit der Kölner Bevölkerung wird eben alles getan. Damit nicht nur die Geschwister Herrenbach in Ruhe picknicken und das Ehepaar Joisten beruhigt in seine Wohnung zurückkehren kann.

Lesen Sie auf Seite 2: "Alles für Ihre Sicherheit": ein Brief von Oberbürgermeisterin Henriette Reker an die Leser und Leserinnen des KölnerLebens. Im Text gibt sie Antworten auf Fragen, die oft zum Thema Evakuierung gestellt werden.

Tags: Weltkriegsbomben in Köln

Kategorien: Unser Köln